• 10 JAHRE ZUVOR •
"Es ist wirklich ehrenhaft von Euch, uns hier nächtigen zu lassen, Mylady. Nicht jeder würde seine Tore für den Lord des Hauses Peake öffnen. Ich danke Euch aufrichtig. Ihr seid ein guter Mensch."
Es seid nur noch ihr beide übrig, jeder ein Glas Wein in der Hand, die Sterne aus dem Fenster heraus betrachtend. Das Feuer flackert im Kamin, überzieht den Raum mit einer tiefgehenden Ruhe, die sich in jeder Faser des Körpers spürbar macht. Deine Wangen glühen, als du den Kopf zur Seite drehst und ihn musterst. "Seid nicht immer so hart zu Euch, Lord Peake. Die zwei Tage, die Ihr nun hier wart, habe ich Euch nicht ein Mal Lächeln sehen. Es zeugt nicht von Schwäche, sich Momente des Frei-Seins zuzugestehen. Und Stärke ist auch nicht die Abwesenheit von Schwäche. Nur die Erkenntnis, dass es etwas Wichtigeres gibt als die Angst, die jeden von uns manchmal überkommt. Die Angst davor, zu versagen. Nie wieder einen Grund zum Lächeln zu finden."
Deine schmale Hand ruht nun auf seinem Arm, der Daumen überzieht den Stoff daran mit sanften Bögen. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, und schließt ihn wieder. Dann lächelt er, streicht dir eine goldene Strähne hinter das Ohr. "Das klingt, als würdet Ihr Euch damit auskennen." Du erwiderst sein Lächeln, neigst ein wenig den Kopf. "Das tue ich. Glaubt mir, Mylord. Wenn man ihn nur sucht, gibt es immer einen Grund, zu lächeln. Ich habe gerade einen vor mir." Er lacht. Ein Geräusch, das dich schneller atmen lässt. "Ich ebenfalls, wie es scheint." Er wendet sich wieder den Sternen zu, lässt eine angenehme Stille einkehren. Du hingegen suchst seinen Blick, fängst ihn ein, hältst ihn. Ehe du es dir versiehst, verschmelzen eure Lippen zu Einem-... Und du weißt, dass heute Nacht Licht und Schatten einen Tanz über euren Köpfen aufführen werden, an dessen Ende nichts als Funken und Asche zurückbleiben.
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Titus und du, ihr habt euch schon einmal getroffen. Vor etwa zehn Jahren, als dein Ehemann bereits von einem Fieber dahingerafft wurde und im Sterben lag, während du dich allein um deine einjährige Tochter Alysanne sorgtest. Titus war auf einer Reise durch die Weite, eine Hochzeit stand an, zu welcher er endlich einmal wieder eingeladen war - wenn auch vielleicht nur aus Mitleid. Titus hatte gerade erst die Trauerkleidung abgelegt, war noch immer in tiefer Bestürzung über den Tod seiner Frau und Mutter seiner sieben Kinder, die ihm immer wie eine beste Freundin gewesen war und bei einem Unfall ein plötzliches Ende gefunden hatte. Du botest den Reisenden im Namen deines Mannes Obdach in eurer Burg an, bevor sie die Weiterreise antraten. Du, damals zarte neunzehn Jahre alt, vertriebst wenigstens für einen Augenblick die trüben Gedanken und brachtest ihn zum Lächeln. Er wiederum brachte dir die Wärme entgegen, die du von deinem Mann stets vermisst hattest. Es kam, wie es kommen musste: Hinter den sicher verschlossenen Türen deines Schlafgemachs verbrachtet ihr eine Nacht miteinander, bevor er am nächsten Morgen weiterreiste. Du wolltest ihn nicht gehen lassen, warfst mit tränenerstickter Stimme ein, Titus könne bei Lady Olenna und Lord Mace um deine Hand anhalten, sobald dein Mann verstorben sei... Aber von einem Bündnis mit den Tyrells konnte Titus damals nur träumen, niemals wäre eine solche Ehe genehmigt worden. Und um ehrlich zu sein machte er sich damals auch nicht wirklich viel aus dieser Nacht, ganz anders als du.
Neun Monde später brachtest du einen kräftigen, gesunden Sohn zur Welt, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war - und das war nicht der inzwischen beerdigte Jon Bulwer, wie du selbstverständlich behauptet hattest. Schweren Herzens trafst du eine Entscheidung, die dir zwar das Herz zerriss, dir aber als einzige Lösung erschien. Schließlich war bekannt, dass Lord Peake hier vor neun Monden eine Nacht verbracht hatte. Du gabst das Kind an deine engste Vertraute, deine beste Freundin, die bei der Geburt gleichzeitig als deine einzige Helferin und Amme fungierte und schon deiner Tochter auf die Welt geholfen hatte. Offiziell gabst du bekannt, der Junge sei kurz nach der Geburt verstorben. Deine Vertraute wiederum brachte das schlafende Kind, dick eingewickelt und versteckt in Tüchern, in einem Korb aus der Burg heraus in eine nahe gelegene Siedlung, wo sie es fortan als ihr eigenes aufzog. Eine Entscheidung, die sich im Nachhinein als überaus klug erwies: Mag man den Erzählungen der Amme Glauben schenken, so ist der inzwischen Zehnjährige seinem Vater mit jedem Tag ähnlicher geworden und mittlerweile geradezu dessen Abbild.
Als der Hauptfamilienzweig der Tyrells dir nun zehn Jahre nach eurer ersten Begegnung die Entscheidung verkündete, du würdest Titus Peakes Ehefrau und damit die neue Lady des Hauses Peake werden, konntest du ein Lächeln nicht zurückhalten. Konnte es denn wirklich sein, dass die Götter es ein Mal gut mit dir meinten? All die Jahre hattest du ihn nicht vergessen, hattest potentielle Verlobungskandidaten auf die ein oder andere Art fernhalten können und deine Tochter zu einem liebenswerten, jungen Mädchen erzogen. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge verlässt du nun dein Mädchen, um an der Seite deines neuen Ehemannes ein neues Leben zu beginnen. Ja, du bist felsenfest davon überzeugt, dass die Götter euch füreinander bestimmt haben - und du hast vor, ihm als seine Ehefrau den Rücken zu stärken, komme was wolle. Dass auf dem Familiensitz der Peakes seit einer Weile auch eine junge Frau lebt, die man wohl als Titus' inoffizielle Mätresse bezeichnen kann, wirst du jedoch erst bei deiner Ankunft erfahren. Wird es dir das Herz brechen, doch du arrangierst dich stillschweigend damit? Oder versuchst du, auf ihn einzuwirken? Oder gar die Mätresse loszuwerden?